Sonntag, 5. Juli 2015

Verkürzte Leitartikler

Der Wiener Journalist Rainer Nowak hat mir heute mein Mittagessen vergällt.

Nicht mit seinem Leitartikel, der war ganz OK. Im wesentlichen ruft Chefredakteur Nowak in der Sonntagspresse vom 5. Juli  die Spitzen unserer Republik zu mehr Ernsthaftigkeit auf, sie mögen sich darauf besinnen, ihre Arbeit zu tun und sollen dies in Würde tun können: "Selbst wenn ein Bundeskanzler klein ist, verdient er Respekt und Höflichkeit."

Das Einfordern von Staatsräson war es nicht, weswegen ich das Besteck zur Seite legen musste, es war ein Nebensatz, gleich zu Beginn: "Während wir in wichtigen Bereichen immer mehr zurückfallen - die lobenswerte Ausnahme ist die Forschung - und das Ganze Land fürchtet, dass der Wohlstand kleiner wird...."

Die löbliche Ausnahme in einem ansonsten schrumpfenden, schlechter werdenden, in der Hoffnungslosigkeit versinkenden (etc.) Land ist also die Forschung. Wie kommt denn der Herr Nowak zu diesem Befund?



Letzte Woche fand ein bemerkenswertes Treffen statt. Auf Einladung des Herrn Bundeskanzlers trafen der Wiener Bürgermeister und der Kanzleramtsminister den Leiter des IMBA, des Institutes für molekulare Biologie, Josef Penninger, um ihn zu seinem Verhandlungsgeschick zu beglückwünschen, aus einem ansonsten aus allen Löchern pfeifenden Forschungsbudget nochmals 20 Millionen € für sein Institut herausgeschnitten zu haben (vgl. hierzu einen wenig wohlmeinenden Kommentar der grünen Wissenschaftssprecherin). Die Millionen sind wohl nicht schlecht investiert, Penninger ist ein ausgezeichneter Forscher. Da man in Österreich solche Treffen ja auch mit einer OTS würdigen muss, wurden die ÖsterreicherInnen (und vorallem deren Subgruppe, die forschungsaffine Twitteria) ZeugInnen dieses Mittagessens. Da konnte man dann auch gleich die Tatsache abfeiern, dass Österreich Deutschland in der Forschungsquote überholt hat und über 3 Prozent liegt. Cordoba ist halt auch schon lange her.

Vielleicht war Herr Nowak ja beim Mittagessen dabei, hat bei der Fritattensuppe dem dankbaren Penninger gelauscht oder beim Tafelspitz den sich in die Fäustchen lachenden Mitgliedern der Bundesregierung, die sich darüber freuten, dass sich die Quote in den letzten 20 Jahren verdoppelt hat.

Daran kann man dann beim Schreiben eines Leitartikels zurückdenken und mit lockerer Hand schnell mal den Befund hinwerfen, dass es um Österreichs Forschung eh supi bestellt ist.

Hätte sich Herr Nowak die Mühe gemacht, einmal im gerade erschienenen Leistungsbericht des Rates für Forschung und Technologieentwicklung nachzuschlagen, hätte er vielleicht ein differenzierteres Bild gewinnen können: Dort ist von einer unterdurchschnittlichen Innovationsperformance die Rede, von nicht zu erreichenden Zielen der Forschungsstrategie, von unzureichenden Rahmenbedingungen, von einem Leistungsvorsprung, der verloren zu gehen droht.

Hätte Herr Nowak vor einigen Wochen im Innovation Scoreboard der EU geblättert, hätte er feststellen müssen, dass Österreich in dieser Rangliste wieder zurückgefallen und das Ziel, in Bälde zu den Innovation Leader in Europa zu gehören, in weite Ferne gerückt ist.

Wär ihm die EU zu weit, könnte er auch zum Institut für Höhere Studien schauen: Das IHS kommt im letzten Policy Brief zurecht zum Befund, das Österreich ohne ein leistungsstarkes und finanziell besser ausgestattes Hochschulsystem nicht reüssieren wird können.

Leitartikel sind kurz, LeitartiklerInnen müssen verkürzen. Der Mut zur Lücke sollte dabei allerdings zumindest gut recherchiert sein.